Engeldamm 1, 2023VSG glas, LED, electronics, wood, aluminium 91,5 x 101,5 x 3 cm
EngeldammAnn-Charlotte Günzel, 2023
Vor 13,8 Milliarden Jahren markierte eine gewaltige Explosion den Beginn von Zeit und Raum: Erst 0,0000000000000000000000000000000000000000001 Sekunden nach dem Urknall gelten die wissenschaftlichen Naturgesetze. Dieser Bruchteil der Zeit, das kürzeste nachgewiesene Zeitintervall, wurde nach seinem Entdecker, Max Planck, als Planck-Zeit definiert. Was vor der Planck-Zeit war, liegt dabei ebenso im Dunkeln wie die Ursache des Urknalls.
Mit einem leisen Aufprall trifft der Hammer auf Glas. Das Zeitintervall des Aufbrechens ist durch den menschlichen Sehsinn nicht zu erfassen, doch vollzieht sich der Bruch innerhalb der Planck-Zeit – jener, kleinsten Zeiteinheit von 10-41 Sekunden. In seinem Werk kreist Felix Kiessling um die physische Materialisierung des materiell Ungreifbaren. Im zerborstenen Glas der Engeldamm-Serie wird das kürzeste, bekannte Zeitintervall wahrnehmbar.
In der Berührung mit dem Material, das Kiessling mit dem Hammer bearbeitet, steckt gleichermaßen ein malerischer Gestus wie ein Verweis auf Vandalismus. Zerbrochene und zerschossene Fensterscheiben sowohl von unbelebten Gebäuden als auch von kommerziell geprägten Architekturen zeugen von entladener Frustration, Wut und letztlich sozialer Ungleichheit, von knappem Wohnraum und auseinanderklaffenden, ökonomischen Verhältnissen. Im Bruchteil einer Sekunde und beinahe geräuschlos, lässt der Hammer die Scheiben zerbersten, wird die Trennung zwischen Innen und Außen unterlaufen. Engeldamm berührt auch diese kategorische Trennung: Das Werk ist durch seine Transparenz nie vom Raum losgelöst, sondern wirkt als eine durchlässige Membran unmittelbar in ihn hinein. In Licht getaucht wird aus dem Sprung im Glas ein ästhetisches Objekt, in ihm manifest der Moment des Aufbruchs, der Beginn der Raum-Zeit – nicht zuletzt: die absolute Gegenwart der Zeit.
Engeldamm 1, (Detail), 2023VSG glas, LED, electronics, wood, aluminium 91,5 x 101,5 x 3 cm
EngeldammAnn-Charlotte Günzel, 2023(EN)
13.8 billion years ago, a huge explosion marked the beginning of time and space: the scientific laws of nature only apply 0.00000000000000000000000000000000 00000000001 seconds after the Big Bang. This fraction of time, the shortest proven time interval, was termed Planck time after its discoverer, Max Planck. What occurred before Planck‘s time is as obscure as the cause of the Big Bang.
The hammer hits the glass with a soft thud. The time interval of the shattering cannot be captured by the human eye, as it takes place within Planck time - the smallest unit of time of 10^-41 seconds. Felix Kiessling‘s work revolves around the physical embodiment of the materially intangible. In the shattered glass of the Engeldamm series, the shortest known time interval becomes perceptible.
The contact with the material, which Kiessling works on with a hammer, is both a painterly gesture and a reference to vandalism. Broken and smashed windows of both vacant buildings and commercial architecture are witnesses of unleashed frustration, anger and ultimately social inequality, of scarce living space and gaping economic conditions. In a fraction of a second and almost silently, the hammer shatters the glass, undermining the separation between inside and outside. Engeldamm also touches on this categorical separation: the work is never disconnected from space due to its transparency, but it also acts as a permeable barrier directly upon it. Bathed in light, the crack becomes an aesthetic object, manifesting the moment of departure, the beginning of space-time - ultimately: the absolute presence of time.
Engeldamm Notiz Felix Kiessling
Anfangs habe ich Sicherheitsglas mit Zwille und Stahlkugeln, bis hin zu scharfer Munition, bearbeitet. Doch landete ich immer wieder bei folgendem Werkzeug: dem Hammer. Der Schlag eines Hammers, hat nicht die Geschwindigkeit eines Projektils, durch seine Masse aber ein grösseres Momentum das sich im Glas verewigt. Die Art und Weise wie sich das Material verhalten muss, in diesem Bruchteil einer Sekunde und unter hohem Druck verzweifelt seinen Ausweg sucht, keine anderen Weg findet als sich zu spalten, übereinander zu schieben, sich räumlich zu falten wird unter Benutzung des Hammers interessanter. Das sich unter der kurzzeitigen aber kräftigen Berührung verhaltende Material reagiert in unvorhersehbaren Mustern, die später mit Hilfe von im Rahmen eingebetteter Lichtquellen inszeniert werden. Die Arbeit kann als eine Umkehr des Kaputten gelesen werden – ein Zustand der in unserer Gesellschaft gerne versteckt oder aufgehoben wird – hier als Phänomen isoliert und ästhetisiert wird. Ausgangspunkt ist mein Interesse an der Wahrnehmung und Darstellung von Zeit (siehe Impakt Serie oder Zeitzeichnung Serie). In Engeldamm wird ein infinitesimales Zeitfragment sichtbar und eingefroren, und erhält damit die Möglichkeit im schnelllebigen Verlauf unserer Zeit fortwährend zu bestehen.
Engeldamm Note Felix Kiessling(EN)
At first, I worked on safety glass with slingshots and steel balls and live ammunition. I always ended up with the following tool: the hammer.
The blow of a hammer does not have the speed of a projectile, but due to its mass it has a greater momentum that is immortalized in the glass. The way in which the material has to behave, desperately seeking its way out in this fraction of a second and under immense pressure, finding no other way than to split, to slide over each other, to fold spatially, becomes more interesting when using the hammer.
The material, which behaves under the brief but powerful touch, reacts in unpredictable patterns, which are later staged with the help of light sources embedded in the frame. The work can be read as a reversal of the broken - a condition that is often hidden or abolished in our society - here isolated and aestheticized as a phenomenon. The starting point is my interest in the perception and representation of time (see Impakt series or Zeitzeichnung series). In Engeldamm, an infinitesimal fragment of time becomes visible and frozen, and is thus given the opportunity to continue to exist in the fast-moving course of our time.